Cargo Kult: Der Nackt-Kult, 1944 – 1951

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Ort der Handlung: Espiritu Santo-West, Nakuvu, am Orafluß
Führer der Bewegung: Tsek (bzw. Tieka) von Nakuvu
Charakter der Bewegung: Religiöse Reform mit Revivalismus und Cargotendenz

Es wird berichtet, daß der Führer dieser Bewegung am Anfang angeordnet habe, daß alle Kultglieder ihr Sexualleben in der Öffentlickeit „wie Hunde und Hühner“ ausüben sollten, daß alle Frauen für alle Männer zur Verfügung stehen sollten und daß diese Ordnung bereits für Mädchen ab dem 8. bis 9. Lebensjahr verpflichtend sei. Am Ende der Bewegung wurden diese Forderungen dann allerdings stark reduziert. Selbst aktive Kultglieder waren es allmählich leid, nach diesen Vorschriften zu leben. Man hörte davon, daß ein zelne Männer sich an dem Kultführer rächen wollten. Sie sagten: »Tsek hat uns verdorben; er hat unsere Sinne ruiniert und er hat unser Leben durchein andergebracht. Wir wissen, daß unser gegenwärtiges Tun nicht recht ist. Wir wollen da nicht mehr mitmachen!« Und schließlich zogen einige daraus die Konsequenzen, in dem sie von zuhause fortgingen und sich als Fremdarbeiter verdingten. Damit ließ der Einfluß des Führers merklich nach.

Angefangen hat es so: 1944 trat ein Mann von etwa 35 Jahren als Prediger und Reformer hervor. Er hieß Tsek. Seine Wirksamkeit hat insgesamt nur sechs Jahre gedauert. Dann ist er an einer qualvollen Krankheit gestorben. Nicht zuletzt dieses Ende hat dem Kult seine Stoßkraft genommen; denn Tsek hatte Heilung von allen Krankheiten und ewiges Leben versprochen. Wenn »Amerika« käme, würde keiner mehr sterben. Durch den Tod des Kultführers war allerdings Zweifel in die Bewegung gekommen. Zu Beginn seiner Wirksamkeit hatte Tsek jedoch viel Zulauf. 1945 sandte er 30 »Botschafter« aus und ließ seine Lehre verkünden. Auffallend ist, daß es beim Nackt-Kult (Kult Nr. 176) nie Großveranstaltungen oder massenpsychotische Beeinflussung gegeben hat. Im Unterschied zu den anderen Bewegungen ging es hier um eine Art Lebensphilosophie.

Die zentrale Idee bestand darin, die Entvölkerung der Insel aufzuhalten, der Krankheit zu steuern und zu einer ursprünglichen und glücksbetonten Reinheit zurückzufinden, in der es weder Krieg, noch Neid noch Scham geben sollte. Von diesem Streben nach einem Urzustand muß man verstehen, was Tsek als Botschaft verbreiten ließ. Im Einzelnen sagte er:
Let’s go USA

 

  1. Zieht alle Kleider aus und geht nackt. Die Frauen sollen auch ihre üblichen Gebinde ablegen, ebenso alle Ketten und Armbänder. Alle diese Dinge machen euch nur unrein.
  2. Zerstört alles Eigentum: Sowohl das aus der Welt der Europäer, als auch die landesüblichen Geräte.
  3. Verbrennt eure Häuser und baut Gemeinschaftshäuser: in jedem Dorf eines für die Männer und eines für die Frauen.
  4. Richtet Gemeinschaftsküchen ein und kocht jeden Morgen das Essen für alle.
  5. Arbeitet nicht mehr für die Weißen.
  6. Tötet alle Haustiere: außer den Schweinen, auch die Hunde und Katzen.
  7. Wer das alles befolgt, zu dem kommt »Amerika«!
  8. Dazu soll eine neue Sprache eingeführt werden, die alle Stämme verbindet und vereint. Diese Sprache soll Mamara (d. h. heller Tag) genannt werden.
  9. Eine Anzahl alter Tabus wird außer Kraft gesetzt: Die Verpflichtung zur Exogamie wird beseitigt. Gewisse Meidungsgebote werden aufgehoben. Brautpreise sind abzuschaffen. Die Bestattungsriten sind zu ändern.

Das Endziel war eine harmonische Gesellschaft. Da der Individualbesitz oft Anlaß zu Streitigkeiten gab mußte man den Weg zu einer Kommune finden. Da Eifersucht oft zu Ärger führte mußte man die Ehegrenzen öffnen. Da Schuldgefühle und Schamempfinden den Menschen hemmten, mußten diese Barrieren beseitigt werden. Es steckt eine scharfe Logik hinter diesen Überlegungen. Sogar psychomatische Zusammenhänge wurden erahnt. Alle Krankheit wurde auf irgendwelche Disharmonie zurückgeführt. Der Reformer Tsek erkannte in der erotischen Heimlichtuerei, ebenso wie in dem körperlichen Leiden seiner Mitmenschen ein kosmisches Mißverhältnis, das nach Heilung drängt. In selten klarer Weise wird bei dem Nackt-Kult deutlich, daß Cargo mehr ist, als materielles Gut. Was bei allen Cargo-Bewegungen durchschimmert, gewinnt hier typische Ausmaße. Man darf sich durch extreme Äußerungen nicht irritieren lassen. Tsek war ein Reformer von Format, der nicht wie ein Prophet aufgetreten ist und blinde Versprechungen gemacht hat, sondern die alte Kultur scharf durchleuchtet hat, um daraus praktische Folgerungen für eine Neuordnung zu ziehen. Daß diese Folgerungen ungewöhnlich und problematisch waren ist ein eigenes Kapitel. Tsek hat allein mit der Überzeugungskraft seiner Argumente gearbeitet. Umso erstaunlicher ist es, wie schnell seine Botschaft Fuß gefaßt hat.

Grundsätzliche Feindschaft gegen die Weißen hat er nie gepredigt, wiewohl er jede Annäherung durch Weiße als Einmischung empfand. Die Weißen interessierten ihn nicht sonderlich. Sie waren ihm nur als Faktor der Güterver mittlung interessant. Doch hütete man sich, ihnen zu nahe zu kommen. Tseks Vorstellungen waren sicher von der christlichen Lehre beeinflußt. Als junger Mann hatte er bei Europäern gearbeitet. Dort sah er neue Lebensmöglichkeiten. Dort erkannte er seine eigene Kultur als minderwertig und reformbedürftig. Daraus resultierte die Überzeugung, daß alles Alte schlecht und schmutzig sei. Dem entsprach die Tendenz, zu einer neuen Reinheit vorzu stoßen. Daß sich diese Philosophie in massiven Gütererwartungen einen Kontrapunkt geschaffen hat, gehört mit zur Denkstruktur der Melanesier.

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