Cargo Kult in Papua-Neuguinea
Wie reagieren Menschen auf die Erfahrung die sie nicht verstehen oder nur zu gut verstehen? Wie versuchen sie, ein unvorhergesehenes und beispielloses Ereignis zu bewältigen, ohne dabei über treffende Erklärungsmuster oder Handlungsanweisungen zu verfügen und wer verfügt schon darüber?
Ein solches Ereignis war für die Bewohner Papua-Neuguineas (häufig auch Melanesien genannt) der erste Kontakt mit den weißen Repräsentanten der euro- amerikanischen Kultur, den Kolonisatoren am Anfang des 20.Jh. … Die Reaktion der Bewohner auf das gewaltsame Eindringen, das ja nicht nur einen Verlust an Macht darstellte, sondern auch einen Angriff auf Werte und Glauben, war das entstehen der Cargo Kulte.
Die Bewegung der Cargo Kulte (cargo = Fracht), die bis in die Gegenwart in ca. 200 verschiedenen Arten, meist von Missionaren, Kolonialverwaltern und später von Ethnologen, aufgezeichnet wurden, ist ein Versuch sich gegen dieses Eindringen zu wehren.
In diesen Bewegungen kündigt ein Prophet den bevorstehenden Weltuntergang an, mit einer Katastrophe die alles zerstören wird. Danach werden die Ahnen zurückkehren, oder Gott oder eine befreundete Macht wird erscheinen und all jene Güter bringen, nach denen die Menschen verlangen und über die die Weißen, in Form von Händlern, Soldaten und Verwaltungsbeamten in unerklärliche Weise ohne ersichtliches Zutun verfügen. Eine Herrschaft ewiger Glückseligkeit wird errichtet.
Deshalb bereiten sich die Menschen auf den Tag dieser Ankunft des Cargos vor, indem sie rechtzeitig Kulturorganisationen schaffen, Landeplätze und Kaianlagen für die Annahme und Vorratshäuser für die Unterbringung des Cargos errichten.
Es werden Flugzeuge gebaut, Geld hergestellt, Kricketvereine gegründet, mit genau festgelegten Hierachien und auszuübenden Vereinstätigkeiten. Man marschierte mit nachgebauten Holzgewehren in militärischer Formation auf gerodeten Flächen und hofft die Ahnen würden den Holzgewehren bleiernde Kraft verleihen. Nationale Flaggen der Kolonisatoren werden umgedreht gehißt und zur eigenen Flagge proklamiert. Telegraphenmasten werden rechtzeitig von der Ankunft des Cargos auf magische Weise Nachricht geben.
War der weiße Mann ersteinmal besiegt, würden die leeren Kisten im neu gebauten Lagerhaus sich mit dem vorenthaltenden Cargo fühlen. Solange müsse man warten und könnte wie ein Weißer auf der Veranda des Hauses sitzen.
Alltägliche, hergebrachte Handlungen zur Sicherung der eigenen Nahrungsmittel-Produktion werden aufgegeben, der Viehbestand wird geschlachtet und in groß angelegten Festen verzehrt.
Da die Bewohner Papua-Neuguineas von irgendeiner Arbeit der europäischen Kolonisatoren nichts wahrnehmen konnten, war es ein leichtes sich vorzustellen, daß die „Arbeit“ der Kolonisatoren, die ihnen die Cargo Lieferung beschaffte, in eben diesen geheimen Ritual bestand. Also glaubte man auch, daß die Ausführung dieser beobachten Rituale genügte, um Cargo herbeizuzwingen. Das dann ausgeführte Cargo Ritual war also die Arbeit.
Das Nachahmen mit dem implizierten Versprechen der Güter- und damit der Heilserwartung richtete sich letztendlich gegen die Kolonisatoren. Diese konnten es nicht zulassen, daß die Bewohner apua-Neuguineas aufhörten für die Entrichtung der neu eingeführten Steuer zu arbeiten. Oder daß das Nachahmen militärischer Rituale, in real bewaffnete Angriffe gegen sie umschlug. Es kam zur gewaltsam Niederschlagung und Arrestierung der Cargo Bewegungen.
Mit der Sehnsucht nach Cargo und die Ausübung der Rituale, kompensierten die Bewohner das Scheitern ihrer Versuche die neue Welt zu kontrollieren, sie wurde nun von aussen gesteuert.
Das Motiv der Cargo Kulte ist in der Redistribution aller Konsumgüter zu sehen, in der Freiheit von Unterdrückung und Sklaverei.
Cargo Kult in der euro-amerikanischen Kultur
Das die Sehnsucht nach Cargo überall zu hause ist, ist trivial, heute, wo dessen Verteilung nicht mehr ausgeglichen vor sich geht, nimmt diese Sehnsucht bei uns noch trivialere Züge an. Es ist ein leichteres bei uns nach Cargo Kult Ähnlichkeiten oder Adaptionen zu suchen, als in Papua Neuguinea.
Jeden Tag nähren wir unsere Cargo Sehnsucht und unsere Anschauung von Cargo Kult Praktiken, beim Aufnehmen der Lobgesänge auf die Ware. Ständig wird die Vorstellung verkündet, daß die Dinge in einer fertigen Form auf die Welt kommen. Die Dinge, die Waren unterliegen keiner Herstellung, keiner Entwicklung, sind in keinerlei sozialen Prozeß eingebunden, sie sind entweder da oder exestieren nicht. Nur so kann die Sehnsucht irrational werden.
Wem ist es schon klar, welche verschiedenen Wege ein Bekleidungsstück nehmen muß, um in einem Warenhaus oder in einer shopping mail erhältlich zu sein. Aufgewertet mit einem bestimmten label, entspricht es nur noch einem imaginären Wert und speichert bestenfalls für eine kurze Zeit, die Substanz unserer Begierden.
Man muß eigentlich nicht soweit gehen, aber in der Fremde wird doch vieles deutlicher. Der Zusammenbruch der kommunistischen Gesellschaft in der Sowjetunion und der anschließende Aufbau eines kapitalistischen Wirtschafts-systems führte auch dort zu einer beschleunigten Verbrei-tung von Cargo Kulten. Im Erdgeschoss des Hotel Pekin in Moskau befindet sich ein Sparmarkt in dem nur Kredit Karten akzeptiert werden, alle Preise sind in Deutschmark angegeben. Ein wahrer Cargo Kult Tempel auf dem Majakowski Platz. Und es ist nur eine Frage der Zeit bis frustrierte und hungrige Menschen in Ermangelung einer Zahlungsberechtigung sich die Waren frei nehmen.
Cargo subverts clever. Man würde ja meinen in diesen Perioden des wirtschaftlichen Kollaps, hier in Mitteleuropa, wären kluge Rezepte allerorts Bestandteil eines gesellschaftlichen Diskurses, um alsbald eine gerechtere Verteilung von Waren und Lebensqualität auf Dauer und überall zu erreichen. Aber wie in Papua Neuguinea gesehen, scheinen die Menschen den gleichen Antworten, dem gleichen cargo Kult zu vertrauen.
Wie sonst ist es zu verstehen, daß immer mehr Zentren für herkömmliche Dienstleistung geschaffen werden, um darauf ungenutzt zu bleiben. Als ob der reine Fakt der Gebäudepräsenz diese mit Nutzung füllen würde. Siehe Büroleerstand, siehe Hauptstadtwunschmaschine Potsdamer Platz, Berlin.
Luxeriöse Hüllen für die Warenpräsentation werden auf ausrangiertem Gelände errichtet, wie das neu eröffnete, europagrößte Einkaufszentrum in Oberhausen. Inklusive dem „Home-World-Project“: die weltgrößte Musterhaus-Siedlung mit 216 Wohneinheiten, die unbewohnt bleiben werden. Und die anderen Waren: Die Ansammlung in den Regalen wartet auf Käufer die es gar nicht mehr geben wird oder wenn, dann nur noch als staunende, bargeldlose Hülle. Hier dreht es sich etwas, nicht die Leere eines Lagerhauses wie in Papua Neuguinea wartet auf die Ankunft, sondern die das Angebot in den Regalen des Einkaufzentrums wird der Leere begegnen.
Nicht die Menschen warten auf eine Neuverteilung der Waren, sondern die Waren selbst erstarren in unerfüllter Hoffnung.
Andere Cargo Kultismen sind allerorts zufinden.